Protest mit Leichen
Von Knut
Mellenthin 23.01.2013
Pakistans
schiitische Hazara
beendeten am Montag ihre viertägigen Proteste, nachdem die Regierung ihre
zentralen Forderungen erfüllt hatte. Die Aktionen hatten am Donnerstag
begonnen, als bei einem Bombenanschlag in Quetta, der Hauptstadt der Provinz
Belutschistan, über 118 Menschen getötet
worden waren. 98 von ihnen gehörten zur überwiegend schiitischen Volksgruppe
der Hazara.
Nach vorherrschenden Theorien haben sie ostasiatische, hauptsächlich afghanische
Ureinwohner und teilweise mongolische Wurzeln. Im Iran und in
Afghanistan leben jeweils mehrere Millionen Hazara,in Pakistan etwa 1000000. Insgesamt gehören 15 bis 20 Prozent der über 180
Millionen Pakistani zum schiitischen Zweig des Islam.
In den
letzten Jahrzehnten wurden Tausende pakistanische Schiiten besonders
Volksgruppe Hazara
von extremistischen sunnitischen Fundamentalisten ermordet, die in ihnen »Ungläubige«
sehen. Allein im vergangenen Jahr waren es über 400, mehr als jemals zuvor.
Ziele der Anschläge sind Moscheen, religiöse und soziale Zentren, Busse mit Schülern,
Passagieren und Pilgerfahrern, aber auch Märkte und Einkaufsstraßen in
überwiegend von schiitischen Hazara
bewohnten Stadtvierteln. Zu dem Attentat in Quetta gab die um 1980 gegründete,
seit 2001 verbotene Organisation Laschkar-e-Jhangwi, die schon viele Morde an
Schiiten begangen hat, eine »Bekennererklärung« ab.
Es wird
auch vermutet, dass die belutschische Liberal Armee (BLA) dahinter steckt. Die
Belutschische Liberal Armee (BLA) will die Provinz Belutschistan von
pakistanischen Teil trennen und eigen Staat gründen.
Es waren
mehrere Drohungen von BLA gegen Hazara
Bevölkerung in Quetta, das die Hazara
und Paschtunen irgendwann Belutschistan verlassen.
Seit
Freitag hatten Hunderte Angehörige der Opfer und andere Hazara
mit den 98 in weiße Leinentücher gehüllten Leichen bei Frostgraden ein
ununterbrochenes Sit-in auf einer Hauptstraße von Quetta veranstaltet. Sie
setzten sich damit in spektakulärer, offensiver Weise über den muslimischen
Brauch hinweg, Tote umgehend zu bestatten. Eine spontan gebildete
Protestleitung erklärte, dass man bis zur Erfüllung zweier Forderungen auf der
Alamdar Road ausharren werde:
Erstens
sollte das Militär anstelle der für inkompetente und untätig gehaltene Polizei
die Kontrolle über Quetta unternehmen, um die schiitische Hazara
Gemeinschaft zu schützen und die Mörder aufzuspüren. Zweitens wurde die
Absetzung der Provinzregierung verlangt. Die schiitische Hazara
werfen ihr vor, nichts gegen die Terrorakte unternehmen zu haben. Am Sonntag
kam Premierminister Raja Pervez Ashraf nach Quetta und sprach zu den Menschen
auf der Alamdar Road. Anschließend traf er sich mit der Protestleitung und
teilte ihr die Erfüllung ihrer Forderungen mit.
Der
Protest in Quetta war von landesweiten Solidaritätsaktionen begleitet, die
hauptsächlich von Schiiten getragen wurden. Am Montag war die größte Stadt
Pakistans, Karatschi, weitgehend durch einen Streik lahmgelegt, den der
zentrale Rat schiitischer Geistlicher für die gesamte Provinz Sindh ausgerufen
hatte. In der 21-Millionen-Hafenstadt blieben die meisten Läden und Märkte
geschlossen. Mehrere Hauptstraßen wurden stundenlang von Demonstranten
blockiert.
Ebenfalls
am Montag erreichte der von einem sufistischen Theologen organisierte »Lange
Marsch« die Hauptstadt Islamabad. Der 61jährige Muhammad Tahir-ul-Qadri, Chef
einer 1981 gegründeten politisch unbedeutenden Partei, nennt als Ziele des »Millionenmarsches«
den Schutz der Menschenrechte, die Beseitigung der Armut, Rechtsstaatlichkeit
und Verfassungsmäßigkeit sowie das Ende des Grundübels der pakistanischen
Gesellschaft, der Korruption. Der »Marsch«, eigentlich ein Autokonvoi, begann
am Sonntag in Lahore mit etwa 7000 Teilnehmern und wuchs während des Wegs auf
mehrere hunderttausend Menschen an. Tausende hatten sich in Dörfern, Städten
und an Straßenkreuzungen versammelt, um dem Konvoi zuzujubeln.
Quelle: jungewelt.de
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